Kochnachmittag mit Teilnehmenden des Erstorientierungskurses im Ankunftszentrum für Flüchtlinge: Verständigung geht durch den Magen
Der Caritasverband bietet seit Oktober 2018 Erstorientierungskurse (EOK) für Asylbewerber mit unsicherer Bleibeperspektive an, das heißt, deren Herkunftsland nicht sicher ist, die aber trotzdem keine hohe Anerkennungsrate haben. Zudem dürfen Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive, die aber noch keinen Integrationskurs besuchen können, an den Kursen teilnehmen. Die Kurse sind, wie der Name schon sagt, darauf ausgelegt den Teilnehmenden eine erste Orientierung für den Alltag in Deutschland zu bieten. Anhand unterschiedlicher Themen, von sozialen Kontakten, Einkaufen, Gesundheit und Arbeit bis zu Werten und Zusammenleben, wird Deutsch gelernt.
Während einer Unterrichtsstunde kommt die Frage auf, was die Kursteilnehmenden am meisten vermissen. Sofort kommt von mehreren Teilnehmenden die Antwort: "Kochen!"
Im Ankunftszentrum gibt es keine Kochmöglichkeiten für die Bewohner und das Essen wird von einem Cateringunternehmen geliefert. Als wir im Unterricht die deutschen Essgewohnheiten thematisierten, meinten einige Teilnehmende, dass sich das Essen teilweise von dem unterscheidet, was sie von zu Hause gewohnt sind.
Innerhalb der EOK-Kurse gibt es die Möglichkeit, themenbezogene Ausflüge zu machen. Ein Kochnachmittag mit vorherigem Einkauf passt geradezu perfekt in das Modul "Einkaufen, Essen & Trinken". Also machen wir uns an einem Mittwochmittag im Dezember 2019 mit einer ausgewählten Gruppe von Teilnehmenden aus dem EOK-Kurs auf den Weg in die Stadt. Die Teilnehmenden kommen aus dem Irak, Syrien, Gambia, Guinea und Kamerun. Wir haben sogar eine professionelle Köchin aus dem Irak dabei, die von ihrer Zwillingschwester unterstützt wird.
Nach dem gemeinsamen Einkauf geht es zu den Kolleginnen und Kollegen des Gemeinwesenprojekts Mörgelgewann, die uns, ohne zu zögern, ihre Küche zur Verfügung gestellt haben. Sofort beginnen die Teilnehmenden mit den Vorbereitungen fürs Kochen. Wer kein eigenes Gericht kocht, hilft den anderen beim Kochen. Arbeitsanweisungen werden in fünf verschiedenen Sprachen gegeben und alle sind mit Begeisterung dabei ihren Anteil an den Vorbereitungen zu leisten. Die Küche ist erfüllt von strahlenden Gesichtern. Sie fühlen sich ein Stück weit zu Hause, weil sie Gerichte ihrer Heimat kochen können. Verschiedene Muttersprachen erklingen, ohne dass die gegenseitige Verständigung misslingt. Bruchstückhafte Erklärungen auf Deutsch sorgen für lachende Teilnehmer, genauso wird gelacht, wenn mal wieder jemand nicht verstanden hat, wie er die kibbeh, auch kubbah (Irak) oder kutilk (Kurdisch) genannt (Eine Art Klöße aus Bulgur oder Reis, meist mit Hackfleisch gefüllt), korrekt formen soll.
Nach einigen Stunden in der Küche ist es endlich soweit und wir setzen uns an einen reich gedeckten Tisch mit zahlreichen Gerichten. Es gibt drei verschiedene Arten kibbeh, zwei davon sind frittiert und mit Hackfleisch gefüllt, eine Sorte ist gekocht und mit Hähnchenstückchen, Zwiebeln und Reis gefüllt. Dazu gibt es eine Yoghurtsauce, eine wunderschön angerichtete Platte Taboulé und Reis, denn im arabischen Raum wird nie nur ein Gericht serviert. Gibt es falafel, so gehört humus dazu, zu humus gehört fattoush und zu fattoush passt baba ghanoush. Mezze nennt sich das: eine Mahlzeit bestehend aus vier oder fünf Gerichten. Haupt- und Nebenspeise kann man hier nicht unterscheiden. Man isst zusammen und von allem.
Überhaupt ist Essen nicht nur Nahrungsaufnahme. Essen ist eng verbunden mit der Kultur und Religion. Wer kocht, wer mit wem isst, wer dazu kommen darf
und wer nicht ist wichtig. Das Essen wird zelebriert. Fertiggerichte sind eine westliche Erfindung. Im mittleren Osten isst man traditionell frisches, oft aufwendig zubereitetes, Essen. Essen verbindet, wie ein arabisches Sprichwort besagt, dass sich auch Deutsch ungefähr so übersetzen lässt: "Wir haben Brot (khubz) und Salz (mileh) geteilt, also sind wir jetzt eine Familie". Wenn man zusammen gegessen hat, betrügt man sich nicht, so der Glaube.
Auch in den meisten afrikanischen Ländern wird gemeinsam gegessen, oft aus derselben Schüssel. Bei uns gibt es ein einfaches Gericht aus Kamerun: Sauce Tomate mit Hähnchen und Reis und Pommes Frittes. Essen und kochen ist auch deshalb so wichtig, weil es manchmal das Einzige ist, das Geflüchtete aus ihrer Heimat mitbringen können. Essen ist verbunden mit Erinnerungen an die Kindheit, an wichtige Ereignisse. Kochrezepte werden über Generationen weitergegeben, oft nur mündlich. Im Essen kann eine Kultur ihren Ausdruck finden und traditionelles Essen kann, zumindest teilweise, über das Heimweh hinwegtrösten. Die Zubereitung traditionellen Essens kann auch eine Form des Widerstands sein, eine Möglichkeit die eigene Kultur zu bewahren, wenn diese durch Krieg und Vertreibung verloren zu gehen droht, und Essen erinnert immer auch an das Zuhause - besonders wenn man fern der Heimat ist.
Wir essen an diesem Abend alle gemeinsam und die Teilnehmenden versuchen in verschiedenen Sprachen, zum Teil mit Händen und Füßen, vom Essen und der Kultur ihres Landes zu erzählen. Ich lerne einige Worte Arabisch und am Ende räumen wir gemeinsam auf und bringen die Küche wieder auf Hochglanz. Gemeinsames Essen verbindet - und als wir abends nach Hause gehen müssen, fühlt es sich tatsächlich so an, als ob wir uns von Familienmitgliedern verabschieden würden.